Mentale Stärke durch Glauben und positive Bilder
Die Kraft des Glaubens und der inneren Bilder habe ich am eigenen Leibe erfahren. Im Jahr 2000 wurde ich mit meinen Eltern, Renate Wallert und Werner Wallert, aus dem Tauchurlaub von der Terrorgruppe Abu Sayyaf entführt und auf die philippinische Insel Jolo verschleppt. Für 140 Tage war ich als Geisel im Dschungel gefangen. Dort habe ich gelernt, welche sogenannten „Resilienzstrategien“ helfen, die innere Widerstandskraft zu stärken. Als besonders kraftvoll haben sich der Glaube und positive Bilder erwiesen. Hier ein Auszug aus meinem Buch „Stark durch Krisen“…
Die positive Kraft der Bilder
Spitzensportler schwören auf die Kraft der inneren Bilder. Noch bevor sie loslaufen, lassen sie in Gedanken einen Film abspulen, wie sie als Erster über die Ziellinie laufen oder ihre Bestmarke im Hochsprung toppen. Auch Motivationstrainer betonen immer wieder, welche Bedeutung klare Visionen für Erfolg haben, mit Aussagen wie »Der Schlüssel zum Erfolg ist der Fokus auf die Dinge, die wir wollen – nicht auf die Dinge, die wir fürchten« (Brian Tracy). Wenn man sein Sehnsuchtsziel mit allen Sinnen spüren kann, wächst auch die Kraft, den Weg zum Ziel zu finden und zu gehen. Auf Jolo habe ich gelernt, dass positive Bilder nicht nur helfen, Träume zu verwirklichen. Sie geben auch Kraft, um Albträume durchzustehen.
Die Angst zu sterben begleitete uns ständig während unserer Entführung. Doch von wenigen Ausnahmen abgesehen, habe ich nie die Zuversicht verloren, dass es am Ende gut ausgehen würde. »Alles wird gut«, lautete mein Mantra. Besonders gut fühlte ich dies, wenn ich mir die Zeit nach meiner Freilassung ausmalte. Es waren schöne Gedanken, deren ruhige Bilder mir die tröstende Hoffnung auf Freiheit und Normalität gaben. Ich stellte mir vor, wie ich in Luxemburg in ein Café gehe, mir einen Cappuccino bestelle, in der Zeitung blättere und der Hintergrundmusik lausche. Und dann kommt ein guter Freund dazu, dem ich von meinen verrückten Erlebnissen damals auf Jolo erzähle.
Diese Vorstellung war für mich der Inbegriff von Freiheit. Einfach tun und lassen, was ich will. Ganz unaufgeregt. Ein zweites Sehnsuchtsziel war, meinen Bruder Dirk wiederzusehen, ihn fest in den Arm zu nehmen und dann ein kühles Bier mit ihm zu trinken. Beide Bilder, die mir Kraft gaben und eine positive Ausrichtung ermöglichten, sollten nach meiner Freilassung Realität werden.
Auch die anderen Geiseln malten sich aus, was sie in Freiheit machen würden. Im Angesicht des Todes haben die meisten von uns eine »Bucket List« in ihr Tagebuch geschrieben, also eine Liste der Dinge, die sie vor ihrem Tod unbedingt noch machen wollten. Jolo war für uns zugleich auch eine YOLO-Erfahrung, gemäß dem modernen Akronym aus der Internetsprache, das für »you only live once« steht. Jolo erinnerte uns an die Endlichkeit des Lebens und an unsere Lebensträume. Mein Vater war mit Leib und Seele Geografielehrer. Sein heimlicher Traum war es jedoch, als Reisejournalist unterwegs zu sein. Er träumte schon auf Jolo davon, wie er später sein Tagebuch veröffentlichen und von seinen Erlebnissen berichten würde.
Callie und Monique aus Südafrika beschlossen, sich nach ihrer Freilassung ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Außerdem machten sie Zeichnungen, wie sie ihren Garten neu gestalten wollten. Die Zukunftsvisionen der anderen Geiseln reichten von Fernreisen über Berufswechsel bis zu Restaurantbesuchen. Diese Vorstellungen davon, wie das Leben weitergehen würde, gaben uns Kraft. Auf meiner Liste stand noch »Als Barpianist in einer Kneipe klimpern« und »Mich richtig verlieben und eine Familie gründen«.
Der Glaube hilft
Neben den weltlichen Sehnsuchtsvorstellungen spielte der Glaube eine wichtige Rolle als Kraftquelle in schwierigen Momenten. Wer sein Schicksal als Gottes Willen oder als Teil eines übergeordneten Plans begreift, dem fällt es leichter, es zu akzeptieren. Gerade in der Not spendet Gottvertrauen die Zuversicht: Am Ende wird alles gut, Gott hält seine schützende Hand über mich. Der Glaube hat vielen Geiseln Kraft gegeben.
Mein Vater war schon immer ein gläubiger Christ. In den ersten Stunden der Entführung, als wir einem uns unbekannten Ziel entgegenschipperten, sah mein Vater drei Sternschnuppen am Nachthimmel. Er deutete sie als eine Art göttliches Zeichen für ein gutes Ende. Für ihn stand fest, dass wir drei überleben würden.
Ich selbst bin weder bibelfest noch kirchentreu, habe aber eine christliche Erziehung genossen und halte mich durchaus für einen spirituellen Menschen. Ich glaube an die Kraft von Gebeten. So ordnete ich auch meinen Wunsch nach einem Wink des Schicksals ein, der irgendwo im Universum auf Resonanz gestoßen war und mir dieses zweifelhafte Abenteuer beschert hatte. Allein der Glaube daran, dass ich selbst mein Schicksal beeinflusst haben könnte, machte mich vom Opfer zum Gestalter. Dieser Glaube half mir, mein Schicksal anzunehmen.
Auch Gebete für andere Menschen können Wirkung zeigen, davon bin ich überzeugt. Als meine Eltern und ich erfuhren, dass in Deutschland zahlreiche Menschen in Gebetskreisen und Gottesdiensten für unsere Freilassung beteten, waren wir nicht nur dankbar für diese Geste, sondern glaubten fest an die Kraft der spirituellen Schützenhilfe.
Und noch etwas: In vielen E-Mails, die wir ausgedruckt auf verschiedenen Wegen in das Geisellager geliefert bekamen, wünschten uns Unbekannte viel Kraft, um die harte Zeit zu überstehen. »Haltet durch!«, haben wir in zahllosen Varianten dort gelesen. Wir fühlten uns regelrecht in die Pflicht genommen, die Geiselhaft lebend zu überstehen. Ich kann mich erinnern, dass wir in Gesprächen mit meinen Eltern zu der einhelligen Auffassung kamen, dass wir diese vielen Unterstützer nicht enttäuschen konnten. Schon ihnen zuliebe mussten wir positiv bleiben und die Haft bis zu einem guten Ende durchstehen.
Auch unter uns Geiseln bildete sich ein konfessionsübergreifender Gebetskreis unter der Leitung des praktizierenden Christen Callie. Er lud uns allabendlich ein, an seinem »sunset prayer« teilzunehmen. Je nach Gemütslage folgten wir ihm. Die meiste Zeit verbrachten wir in Waldverstecken zusammen mit unseren Entführern. Ihre ständige Präsenz und ihr permanent plärrendes Transistorradio wurden auf Dauer zu einer psychischen Belastung. Im Laufe der Zeit und mit wachsendem Vertrauen erlaubten uns die Entführer jedoch, uns für einige Meter vom Camp zu entfernen. Gemeinsam begaben wir uns dann zum Gebet an einen ruhigeren Platz, zum Beispiel auf einem freien Feld oder um ein Lagerfeuer.
Ich hatte mit flehenden Gebeten gerechnet, im Sinne von »Lieber Gott, bitte hol uns ganz schnell hier raus!«. Doch Callie fand vor allem Worte des Dankes, wie »Thank you, dear Lord, that we are all still alive« oder »Thank you, for the food that we received today«. Und dann lud er jeden von uns ein, ebenfalls ein Dankgebet zu sprechen. Es war erstaunlich, für was wir alles in unserer misslichen Lage dankbar sein konnten: »Danke, dass so viele Menschen für uns beten«, »Danke, dass für unsere Freilassung verhandelt wird«, »Danke, dass es heute keine Militärattacke gab.« Diese Praxis hat uns all die positiven Aspekte, die sonst vor lauter Stress und Angst meist übersehen wurden, vor Augen geführt. Zum Abschluss hielten wir uns noch einmal an den Händen, lösten dann den Kreis wieder auf und kehrten voller Hoffnung zurück in unseren Geiselalltag. Dieses Ritual hatte neben dem psychologischen Wert auch einen teambildenden Nutzen.
Einige unserer muslimischen Schicksalsgefährten schlossen sich den Gebeten der Entführer an, eingereiht in Richtung Mekka. Zwar gab es nur wenige praktizierende Muslime unter den Entführern, dennoch wurden wir häufig vor Sonnenaufgang vom Ausruf »Allahu Akbar« geweckt.
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